Literatur - Rezension Belli
Der „Fall Teupitz“ – Rezension
Lothar Tyb’l, Teupitzchronist, Berlin, 14. Januar 2014
Peter Josef Belli „ Kommunen und NS-Euthanasie. Zwischenbilanz im Fall Teupitz“,
ISBN 978 3 940386 30 4, Berlin 2013, Verlag Matthias Herrndorff, 40 Seiten
Teupitz ist wegen seiner natürlichen Schönheit als ein „Schatz der Mark Brandenburg“
ebenso landesweit bekannt wie wegen seiner widerspruchsvollen Geschichte während der
Residenz der Schenken von Landsberg als „Hauptstadt des Schenkenländchens“.
Als ich die märkische Kleinstadt 1965 kennenlernte, wurde mir ihr doppelt anziehendes
Gesicht durch einen älteren Teupitzer Bürger nahe gebracht. Doch Hans Sußmann, so sein
Name, fügte einen weiteren Satz hinzu: „Wenn Du die Stadtgeschichte begreifen willst, darfst
Du nie den Schatten außer Acht lassen, den die Euthanasie über sie gelegt hat.“ Diesen Satz
habe ich nicht vergessen, obwohl er mir übertrieben erschien, da ich von den Höhen und
Tiefen der Stadtgeschichte zu diesem Zeitpunkt nicht die geringste Kenntnis besaß.
Inzwischen sind fast 50 Jahre vergangen; der als Ehrenbürger ausgezeichnete Hans Sußmann
ist 1985 verstorben; die Stadt erlebte das Ende der DDR und seit nunmehr fast 25 Jahren die
größer gewordene Bundesrepublik.
An die Worte Hans Sußmanns erinnerte mich zu Beginn des Jahres 2014 der aufrüttelnde
Text eines jungen, in Hessen aufgewachsenen, vom Amt Schenkenländchen zeitweilig mit
Werkvertrag engagierten, freiberuflich tätigen Archivars und Historikers, der gerade in dem
Jahr geboren wurde, als sie ausgesprochen wurden: Dr. Peter Josef Belli.
Durch die sorgfältige Analyse der vorliegenden Literatur, umfangreiche Recherchen und die
überraschende, von ihm bewerkstelligte Rekonstruktion von Teilen der Teupitzer Einwohnermeldekartei
aus der NS-Zeit kommt er zu dem nachdenklich stimmenden Ergebnis, dass die
bisher vorgelegten Fakten die Euthanasieverbrechen in Teupitz nicht ausreichend erfassen
und die gewonnenen Erkenntnisse aus dem „Fall Teupitz“ verallgemeinerungswürdig für die
Euthanasieforschung insgesamt wären.
Berechtigt spricht Belli allerdings nur von einer „Zwischenbilanz“ und regt die Stadt, das
Amt und die Teupitzer Asklepios-Klinik an, gemeinsam die Forschungen weiter voranzutreiben,
um dem Erinnern einen reicheren Inhalt zu geben. Sinnvolle Ziele wären: ein
Gedenkbuch für die Teupitzer Euthanasieopfer, die genauere Darstellung von Einzelschicksalen,
einschließlich der betroffenen jüdischen Bürger und jener Menschen, die hier
zwangsweise sterilisiert wurden, die Enthüllung von in der Teupitzer Klinik und
Stadtverwaltung schuldig gewordenen Mittätern und Hinweise auf die Opfer an zentraler
Stelle in der Stadt. Ich bin sicher, dass die Broschüre besonders in Teupitz viele Leser finden
wird.
Für mich als seit 20 Jahren ehrenamtlich tätiger Teupitzchronist ist die Arbeit Bellis darüber
hinaus methodisch beispielhaft. Sie belegt erstens, wie durch akribische wissenschaftliche
Arbeit Lücken und Schwächen bisheriger Forschungen aufgedeckt werden. Zweitens
vermittelt sie die Hoffnung, dass die jüngere Historiker-Generation, die nicht mehr mit den
Scheuklappen des „Kalten Krieges“ ausgestattet ist, sich in dieser sachlichen Weise auch der
DDR- Geschichte zuwenden wird.